Ostern
 

Tradition

Die Neubrandenburger Schützenzunft von 1565 bis 1700

„Von dem Tage an, da eine Stadt gegründet war, sahen sich ihre Bürger gezwungen, für ihre Verteidigung einzutreten. Daher bauten sie Mauern, Türme und Tore, warfen Wälle auf. Aber was waren diese Befestigungen, wenn der Bürger nicht befähigt wurde, sie zu verteidigen? So kam es ganz von selbst, daß eine vorsorgliche Obrigkeit es sich angelegen sein ließ, die Bürgerschaft im Gebrauch von Waffen, sonderlich der Schusswaffe,erfahren zu machen. Um nun diesen gewiss häufigen, und zum Teil als lästig empfundenen Übungen einen Anreiz zu geben, veranstaltete sie an gewissen Tagen ein Preisschießen.

So entstand schon, als man noch mit der Armbrust schoss, überall das Vogelschießen, bei dem jeder Bürger seine Kunst zeigen konnte. Auf einem hohen Berge wurde eine Stange errichtet. Ein bunter Vogel war an ihrer Spitze als Ziel angebracht: ein Kuckuck, eine Taube, später wohl ein Papagei. Der letzte Schütze bekam einen schönen Preis, wurde zum König ausgerufen und unter dem Jubel der Bevölkerung nach Hause geleitet.
Dass auch in alter Zeit bei uns nach dem Vogel geschossen wurde, geht daraus hervor, daß es in dem Zunft-Privilegium von 1659 ausdrücklich verboten wurde. Wo der Schützenplatz damals war, lässt sich nicht mehr feststellen. Wir sind nicht so glücklich wie die Stargarder, bei denen der „Papageienberg“ die Erinnerung an den Ort dieser alten Sitte für immer festhält. Wir wissen nur, dass im 16. Jahrhundert, als der Gebrauch der Feuerwaffe, des Rohrs, sich allgemein durchsetzte, die Bürgerschaft sich fleißig darin übte.

Vor dem „Neuen Tor“, das daher auch „Schießtor“ genannt wurde, wurde längs der Mauer, auf den 1899 eingestürzten Turm (Turmstraße) zu, ein Schießstand errichtet, auf dem diese Übungen vorgenommen wurden. In welcher Weise ein jeder Bürger hierzu herangezogen wurde, läßt sich nicht mehr genau nachweisen. Jedenfalls stellte sich allmählich das Bedürfnis heraus, diese Übungen in feste Regeln zu fassen, und die, welche daran teilnahmen, besonders zu organisieren.

Da die damalige Zeit keine andere Form der Organisation kannte als die Zunft, so war diese auch hierfür gegeben. Als Herzog Ulrich von Mecklenburg im Jahre 1565 um Pfingsten einmal unserer Stadt einen Besuch abstattete, hat man ihn eingeladen, den Schießübungen vor dem „Neuen Tor“ beizuwohnen, und er hat anscheinend großes Gefallen daran gefunden. Wenige Tage darauf (Donnerstag nach dem Fest) ergeht an den Rat ein allerhöchstes Schreiben.

„Von Gottes Gnaden, Ulrich Herzog zu Mecklenburg.

Ehrsame, Liebe und Getreue,
dieweil wir diese Tage auf dem Schießtor daselbst, selbst gesehen, wie Eure Bürger in guter Übung daselbst seien, und wenn sie dermaßen sich weiter zum Schießen befleißigen werden, daß nach etzlichen Jahren sehr gute Schützen daselbst werden gefunden werden, welche man nicht allein der gemeinen Stadt allda, sondern auf allem gefährlichen Zustand dem ganzen Lande zum besten wird zu gebrauchen haben, demnach wir gerne sehen möchten, daß auf alle Sonntage das Schießen weiter möchte geübt und getrieben werden. Und so sonsten daselbst etzliche viel Gilden werden gehalten, da man nicht anders denn gemeiniglich fressen und saufen pfleget, so begehren wir gnädigst, Ihr wollet die Vorsehung tun, daß von denselben Gilden, oder auch sonsten von dem Einkommen der Stadt jährlich den Schützen zum besten ein sechs Gulden mögen dazu deputiert werden, dafür man alle Sonntage die Gewinne etwa oder Parchin (?) oder anders kaufen.
Das gereicht der Stadt zum besonderen Gefallen, und sind Euch in Gnaden geneigt.
Datum alten Stargard, den 14. Juni 1565.“

Privilegien

Bei der Schnelligkeit, mit der in damaliger Zeit Wünsche des Landesherrn erfüllt wurden, die mit denen der städtischen Obrigkeit zusammentrafen, ist wohl anzunehmen, daß noch in demselben Jahre die Urkunde mit den Satzungen der Zunft von dem Magistrat ausgearbeitet und vom Landesherrn bestätigt wurde. Somit haben wir das Jahr 1565 als das Gründungsjahr unserer Schützenzunft anzusprechen. Die vom Herzog ausgestellte Urkunde ist jedoch in den Wirren des 30jährigen Krieges verschwunden. Bis zu dem Kriege hat die Zunft nun geblüht und ist, wie es in einem Bericht von 1659 heißt, “allemal nützlich kontinuieret“, auch nach dem Kriege bis 1651 nach dem alten Privilegium weitergeführt worden.
Am 6. April 1652 hat der Rat ihr ein neues Privilegium ausgestellt, das wahrscheinlich von dem ursprünglichen nur unwesentlich abweicht.

Der Rat überweist außerdem der Zunft wieder den alten Schießplatz vor dem neuen Tor mit allen „Privilegien, Gerechtigkeiten und Solemnietäten“ und „ordnet das gewöhnliche wöchentliche Uebungsschießen“ an und verpflichtet sich, beim Königschuss 4 Thaler zu zahlen oder 4 Ellen Tuch zu stiften und dem König ein Jahr Freiheit von städtischer Kontribution zu gewähren.
Die Zunft übernimmt dafür die Verpflichtung, in aller vorgehender Okkasion, was zur Defendierung der Stadt „Nutz und Gerechtigkeit erforderlich ist, sich willig zu komportieren“.
Diese Privilegien wurden unterm 5. Juli 1659 vom Herzog Gustav Adolf „auf unserem Hause in Alt–Stargard“ bestätigt.

Bei dem großen Brande von 1676, der die ganze Stadt bis auf 16 Häuser und 15 Buden vernichtete, brannte auch das Rathaus bis auf die massive Mauer aus, und alle Akten, also auch diese Urkunde, wurden vernichtet.

Daher wandte sich der Rat 1682 mit der Bitte um Erneuerung dieses Privilegiums an den Herzog.

Damit schließen die im Landesarchiv zu Schwerin aufbewahrten Akten, auf die wir für die Geschichte dieser Zeit allein angewiesen sind. Ob eine Antwort auf diese Bitte erfolgt ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Der Herzog Gustaf Adolf hatte wohl kein Interesse mehr an der Sache. Er starb 1695, und am 14. Juni erneuerte der Rat aus eigenem Antrieb das Privilegium der Gilde.

Auszug aus der Festschrift 1925 von Dr. Wendt